Oder: Warum der Gedanke an das Sterben bei mir Panik auslöst

 

Ich bin gerade einmal 40 geworden diesen Sommer, doch ein Gedanke holt mich in letzter Zeit immer wieder ein: was passiert mit unseren Kindern wenn ich tot bin.

 

Diesen Gedanken kennt sicherlich jede Mutter/jeder, der Kinder hat. Der Gedanke, dass man irgendwann einmal das Leben seiner Kinder nicht begleiten kann ist nicht schön, doch bei mir hat es noch einmal eine andere Dimension.

 

Natürlich würden auch meine Kinder mich unglaublich vermissen, aber was mir viel, viel größere Angst macht ist der Gedanke, wer sich denn dann um unsere Kinder kümmern wird.

 

Mir wurde nach einem meiner Posts schon einmal vorgeworfen, ich würde immer nur von mir, der armen Eva, reden. Wenn ihr also Probleme damit haben solltet, dass auch dieser Post, auf meinem Blog, sich ganz um mich dreht, dann lest bitte nicht weiter.

 

Wenn ihr aber wissen möchtet, WARUM ich dieses Panikgefühl bekomme, dann muss ich erst einmal weit ausholen. Weit ausholen, um versuchen zu veranschaulichen, was ich so den lieben, langen Tag mache.

 

MEIN LIEBER, LANGER TAG

 

Ich habe das große Glück, einen starken Mann an meiner Seite zu haben, der zugleich auch ein toller Vater für unsere vier Kinder ist. Doch dieser starke Mann muss unglaublich viel arbeiten, um uns unser Leben zu ermöglichen. Ich habe zwar auch lange studiert, habe auch gute Abschlüsse von ordentlichen Unis, doch arbeiten kann ich schon seit 6 Jahren nicht mehr.

 

Das stimmt so natürlich nicht ganz, denn der Grund warum ich keinem bezahlten Job nachgehen kann ist, weil ich bereits einen Vollzeitjob zu Hause habe. Vier Kinder allein bedeuten schon jede Menge Koordination und Organisation, und auch reichlich Unterstützung von außerhalb, damit eine Mutter wieder in ihren Beruf einsteigen kann.

 

Wir haben keinerlei Unterstützung vor Ort durch Familie, so dass es sowieso schon schwer genug wäre einen Chef zu finden, der eine Frau einstellt, die mit jedem kranken Kind sich direkt auch selber krankmelden müsste. Und auch die vier gesündesten, einfachsten ‚Selbstläuferkinder‘ würden dies zu einer Herausforderung machen.

 

Doch unsere Familie ist nun einmal herrlich ‚neurodivers‘. Unsere Kinder sind alles andere als Selbstläuferkinder, sondern benötigen unheimlich viel Stärkung, Begleitung, Unterstützung. Und sie brauchen stets jemanden an ihrer Seite, der dafür sorgt, dass sie diese nötige Unterstützung erhalten, und dass man ihnen dieselben Chancen gibt wie andere Kinder es auch bekommen.

Was tatsächlich  am kräftezehrendsten ist, ist, dass man sich tatsächlich (fast) alles für die Kinder erkämpfen muss. Ja, theoretisch steht unseren Jungs jede Menge an Unterstützung zu. Alleine bis zu den Diagnosen musste man sich ‚durchboxen‘ und stark bleiben, um sich nicht mit Begründungen abspeisen zu lassen warum das Kind so ist wie es ist. Und auch wenn man dann eine Diagnose hat, auch dann wird diese Unterstützung einem ja nicht mit dem Diagnosebericht gewährt. Erst einmal muss mal überhaupt wissen, WAS einem denn an Hilfe zusteht. Dann muss man wissen WO man diese Hilfe beantragt, und WIE man sie begründet, damit sie nicht direkt abgeschmettert wird. Oft ist es leider so, dass das Kind erst in den Brunnen gefallen sein muss, oder die Mutter einen Nervenzusammenbruch erleidet, bis endlich die nötige Unterstützung anläuft.

 

Ich weiss etwas, was du nicht weißt/wissen willst

 

Als Mutter meiner Kinder muss ich immer schauen, wie es ihnen in Schule, Hort, zu Hause geht, ob sie gut zurechtkommen in dem derzeitigen Setting oder nicht, was nötig ist um etwas zu verbessern etc. Doch leider liegen diese Veränderungen nicht an mir, sondern am Umfeld.

 

Was hilft es, wenn ICH weiß was mein Kind benötigt, wenn sich aber z.B. ein Hort seit über einem Jahr weigert dies einzusehen?

 

Für mich hat die Situation in der Nachmittagsbetreuung bedeutet, dass ich ein Kind bereits im Februar, das nächste Kind Anfang Juni dort rausgenommen habe und ab 12 Uhr zu Hause habe. Beiden ging es dort zunehmend psychisch schlechter, doch Außenstehende können sich den Mund fusselig reden, wenn die ‚Innenstehenden‘ es nicht sehen wollen.

 

Rückblickend bin ich froh darüber, aus dieser Einrichtung gemobbt worden zu sein. Denn so hatte ich die Gelegenheit, wirklich eng mit meinen Kindern zu arbeiten. Beiden Kindern ging es direkt besser. Aus einem tobenden, schreienden, wild um sich schlagendem 6-jährigen wurde wieder ein Kind, das sich selber und seine Umwelt leiden mag. Aus einem fast traumatisierten 8-jährigen wurde wieder ein Kind, das an sich selber glauben kann und sich akzeptiert fühlt wie er ist.

 

Für mich hat diese enge Hausaufgabenzeit mit den Jungs bedeutet, dass ich sicherer wurde in dem, was ich weiterverfolgen muss.

 

Für ein Kind bedeutete dies, dass wir nun auf einen Termin zur Autismusdiagnose warten. Beim anderen Kindern habe ich ENDLICH die Schwierigkeiten in Deutsch und Mathe weiter verfolgt, und so haben wir seit Anfang des Sommers bestätigt bekommen, was ich schon seit der 1. Klasse vermutet hatte: Legasthenie sowie Dyskalkulie. Beides stark ausgeprägt. Kein Wunder also, dass er in der Hausaufgabenzeit nicht zurande kam. Und wie gut, dass ich ihn dort herausgenommen habe!!! Das hätte ich nie machen können, wenn ich einer bezahlten Arbeit nachgehen würde.

 

Aber was versuche ich eigentlich zu sagen? Jede Diagnose, jede Form der Unterstützung erfordert nicht einen Brief, oder einen Termin. Es gibt einen ersten Termin. Wenn man dort ernst genommen wird, dann kann man direkt auf weitere Termine hoffen, wenn man die Warteliste hochgerutscht ist. Wenn man nicht ernst genommen wird, muss man sich eine zweite oder dritte Meinung einholen. Und wenn man auf der Warteliste oben angekommen ist, wird man auch wieder zahlreiche Termine wahrnehmen ‚müssen‘. Es schreibe es bewusst in ‚‘, denn diese vielen Termine sind für mich ja keine Qual. Es ist ja das, weswegen ich zu dem ersten Termin gegangen bin. Aber dennoch erfordern sie viel Zeit und auch (emotionale) Kraft.

 

Auch mein/unser Entschluss, die Kinder aus dieser Einrichtung zu nehmen erfolgte nicht von heute auf morgen. Da die Jungs sehr gerne ihre Mitschüler dort trafen, und auch weil es mir durchaus etwas Entlastung gab, habe ich im Vorfeld viele Gespräche geführt, Emails geschrieben, Meetings gehabt…aber irgendwann muss man einsehen, dass Inklusion für einige Leute leider noch ein totales Fremdwort ist. Da muss man dann einfach einsehen, dass man alles versucht hat, aber dass die Kinder dann doch wesentlich besser zu Hause aufgehoben sind.

 

Und so habe ich die Kinder weiterhin zu Hause, Julia ja sowieso noch. Sobald Julia ins Bett gelegt wurde für ihren Mittagsschlaf, kommt schon der erste aus der Schule. Meist fängt er bereits mit seinen Hausaufgaben an, während ich Mittagessen koche. Und dann kommt schon der nächste nach Hause. Im besten Fall ist Frederik dann bereits fertig mit seinen Hausaufgaben, ansonsten geht er nach oben um sie zu beenden – denn obwohl er inzwischen meist ganz toll selbständig seine Aufgaben erledigt, wenn jemand anders außer mir im Raum ist, dann kann er sich nicht mehr konzentrieren. Dazu kommt, dass Oskar nicht hin und wieder mal jemanden benötigt, der ihm bei etwas hilft, sondern permanent jemanden direkt neben sich braucht, der jede einzelne Aufgabe und Teilaufgabe mit ihm durchgeht, so dass es tatsächlich schwierig ist, wenn sich jemand anders währenddessen auf die eigenen Aufgaben konzentrieren soll.

 

Und all das an Hausaufgabenbetreuung kann ich nur leisten, solange auch Julia noch ‚artig‘ ihren Mittagsschlaf hält. Denn sobald Jule wach ist, kann sich niemand mehr konzentrieren 😉

 

Glücklicherweise ist die Schule sehr verständnisvoll und weiß, unter welch schwierigen Umständen ich dies hier leiste. Wenn die Hausaufgaben nicht vollständig sind, dann ist es ok. Denn man weiß, dass ich mein Bestes gebe.

 

Mein Tag ist also stets streng durchgetaktet. Ich selber komme schon kaum noch dazu, eigene Vorsorge Termine wahrzunehmen, da ich häufig Julia nicht betreut bekomme…und wenn ich schon im Voraus weiß, dass ich bei dem Arzt MINDESTENS eine Stunde im Wartezimmer verbringe, plus die Zeit beim Arzt selber, und das auch noch zu einer Zeit, zu der Julia so langsam müde wird, dann reichen meine Nerven dazu einfach nicht mehr aus. Gerade letzte Woche musste ich einen solchen Termin absagen müssen, und muss nun bis Ende Januar auf den nächsten warten.

 

Momentan habe ich wieder viele Termine und viele Vorbereitungen und Überlegungen für alle vier Kinder zu treffen. Vorbereitungen geschehen nach 21.00 wenn die Kinder im Bett sind. Termine geschehen vormittags, wenn ich immerhin nur 1 Kind mitschleppen muss.

 

Nachmittags habe ich dann wiederum Termine/Aktivitäten für oder mit einem der Kinder.

 

Abends erledige ich dann – außer Haushalt, Wäsche für eine Großfamilie etc – Papierkrams und Emails, zu dem ich tagsüber mit den Kindern nicht komme.

 

Immer mal wieder wird es etwas ruhiger und ich habe das Gefühl, allen gerecht und allem Herr zu werden. Doch es währt nie lange. Irgendetwas ‚Großes‘ kommt immer auf….

 

Aber warum schreibe ich dies alles? Warum erzähle ich so (über) ausführlich, womit ich meine Tage verbringe?

 

ICH mache dies alles, weil es nötig ist. Auch wenn ich auf vieles verzichten könnte, so steht es für mich dennoch nicht außer Frage ob ich all dies tue. Denn es geht ja nun mal um unsere Kinder. Unsere geliebten Kinder, die absolut nichts dafür können, dass sie ein wenig mehr besonders sind als andere, und noch weniger dafür können, dass leider die Umwelt noch immer im Jahre 2017 nicht bereit ist, unser Umfeld so anzupassen, dass es ALLEN Mitmenschen möglich ist so auch zu leben. Theoretisch haben heutzutage behinderte Menschen dieselben Rechte wie alle anderen auch. Warum auch nicht?! Doch realistisch gesehen sind wir noch weit davon entfernt.

 

Also ist es ja natürlich, dass ich versuche Dinge zu erreichen, damit meine Kinder die Schule besuchen können, nötige Förderungen erhalten, die Möglichkeit sozialer Kontakte erhalten und und und. ICH mache dies gerne, da es UNSERE Kinder sind. Auch wenn ich oft ungelogen am Rande eines Nervenzusammenbruchs stehe, so stellt sich für mich dennoch nie die Frage, ob ich weiterkämpfen kann/will oder nicht. Denn es sind unsere Kinder, die wir ja nun lieben wie sie sind, oder vielleicht sogar noch einen Ticken mehr, gerade WEIL sie so sind wie sie sind.

 

 

ENDE DER AUSHOLUNG….

 

JA…aber was, wenn ich sterben sollte. Jedes Flugzeugunglück, jeder schlimme Verkehrsunfall, Anschlag, was auch immer, lässt mich mal wieder aufschrecken, dass wir so überhaupt nicht vorgesorgt haben.

 

ICH nehme all diese extrem belastenden Aufgaben auf mich, weil es unsere geliebten Kinder sind. Doch wer würde all dies tun, wenn ich nicht mehr sein sollte? Wer wäre in der Lage, und vor allem auch bereit, für fremde Kinder derart viel Zeit und Emotionen herzugeben? Wer kennt meine Kinder gut genug um auch wirklich zu erkennen, was los ist, wo das Problem liegt und welche Schritte erforderlich sind?

 

Wie oft habe ich schon gedacht ‚ach wie verlockend wäre es gerade einfach nur zu fliehen!‘. Aber weiter als dieser erste Gedanke, geboren aus der puren Überforderung und Verzweiflung, geht es natürlich nicht. Egal wie müde ich bin, egal mit wie vielen Leuten ich es mir verscherzen muss, da ich mal wieder kämpfen muss für die, letztlich, Grundrechte meiner Kinder, egal wie saumäßig es mir selber geht, ich mache selbstverständlich weiter. Und versuche meine Kinder darin zu stärken, dass sie genau so richtig sind wie sie sind.

 

Wenn ich also mal wieder in den Nachrichten von einem Terroranschlag lese, dass ein Wagen in eine Menschenmenge gefahren ist, dass es einen schlimmen Autounfall gegeben hat, oder sonst eine Katastrophe, dann gilt mein erster Gedanke den Angehörigen. Den Kindern, die ohne ihre Mutter/Vater/Eltern leben müssen. Die Eltern, die ein Leben ohne ihr Kind/Kinder bestreiten müssen.

 

Was als nächstes kommt ist aber ein dumpfes Gefühl im Magen. Ein Panikgefühl, das in mir hochkommt. Was wenn ICH unter den Opfern gewesen wäre. Was wäre dann?! Oder gar, wenn es mich UND Michael treffen sollte?!

Bei wem sollten unsere Kinder wohnen? Wer würde überhaupt in der Lage sein, diesen Geschwistern ein gemeinsames Zuhause zu bieten? Und wer könnte dann auch noch dafür sorgen, dass unsere Kinder eben all das bekommen, was sie brauchen. Alle die Grundrechte, die ihnen in unserer inklusiven Gesellschaft oft verwehrt werden….aber natürlich auch diese absolut bedingungslose Liebe, die sie von uns erhalten.

 

Letztlich weiß ich, dass es niemand anderes gibt als uns. Und genau aus dem Grund kommt immer wieder die blanke Panik in mir hoch.

 

Es ist ja noch nicht einmal so, dass wir davon ausgehen können, dass all unsere Kinder als Erwachsene ein selbständiges Leben führen werden. Irgendwann wird also auf alle Fälle der Moment kommen, wo jemand anders meine, unsere, Aufgabe übernehmen muss…..